Kinderkrankheiten

Nachdem ich jetzt zwei Jahre mit meinem Elektroroller [1] quasi täglich [2] durch die Stadt gleite, ist es Zeit für eine Retrospektive. Ich habe lange überlegt, ob ich meine Erfahrungen mit meinem speziellen Modell so allgemeingültig zusammenfassen kann. Zudem bin ich kein erfahrener Produkttester und würde ungern unnötig Werbung oder Schmäh für einen Anbieter verbreiten. Da ich aber wieder an jeder zweiten Kreuzung von nebenan wartenden Leihroller-Fahrern über mein Moped ausgefragt werde, kann ich auch mal allen eine Zusammenfassung dalassen: Ich habe mir vor zwei Jahren einen Unu-Roller mit einem 3kW-Motor gekauft und einen zweiten Akku dazu.

Die wichtigsten Kenndaten [3]: nominelle Reichweite mit beiden Akkus 100 km, realistisch: 80 km. Die letzten fünf Kilometer fährt man nur noch 20 km/h. Ladegeschwindigkeit (pro Akku) sind 10 km/h, zweites Ladegerät zu kaufen lohnt, Y-Kaltgeräte-Adapter für die Reise auch. Akku wiegt so 8-9 kg, kriegt man mit Tragegurt (ist bei) auch mal zwei Treppen hoch. Moped wiegt weniger als ich.

Zuallererst: Im realen Leben ist die Reichweitenangst vollständig unbegründet. In den letzten zwei Jahren Regulärbetrieb bin ich genau einmal liegengeblieben. Hört sich erstmal doof an, heißt aber nur, dass man seinen Akku rausholen per ÖPNV heimbringen, aufladen und zurückbringen muss. Mit meinem Verbrenner bin ich mehrmals im Jahr leergefahren und musste dann tatsächlich schieben oder Kanister organisieren, befüllen und mich mit dem Taxifahrer streiten, die stinkende Plastebox per Kurzstrecke mitnehmen zu dürfen.

Das Aufladen geht durch einen ganz einfachen Effekt in die tägliche Routine über: Zwischen 75 % und 100 % Akkuladung pumpt der Motor-Controller an der Kreuzung nochmal extra Strom in den Motor, darunter verhält er sich konservativer. Soll heißen: Je voller der Akku, desto mehr Fahrvergnügen an der Ampel. Das konditioniert von ganz alleine darauf, den Akku zum Laden mit reinzunehmen. Für längere Strecken innerhalb der Stadt nehme ich daher immer zwei volle Akkus mit, wenn eins dicke reichen würde.

Für einen Trip in die Pampa sollte man sich im Umkreis von 75 km ein Restaurant suchen, in dem man seine Akkus aufladen darf. In zwei Stunden bekommt man in der Summe rund 40 km drauf. Der Rest ist Mathematik. Wenn alles gut geht. Bei meinem ersten Testtrip ging leider nicht alles gut. Das Hinterrad hatte aufgrund einer kleinen Delle in der Felge subtilen Luftverlust. Und platte Reifen sind der natürliche Feind der Reichweite. Das kurz vor Bernau festzustellen, brachte mir die ganze Tourplanung durcheinander [4] und machte, dass ich am Ende doch noch mit der U-Bahn den Akku nach hause fahren musste.

Das Problem artete sogar noch aus, und das lag absurderweise daran, dass ich mein Moped ganz leise wollte. Die meisten E-Roller kommen mit einem unangenehmen Plaste-Surren daher. Da ich mich nach zwei Jahrzehnten Rasselmotor Fahren darauf gefreut hatte, majestätisch durch die Nacht zu gleiten, sind diese Roller ein No-go für mich. Das Geräusch stammt (soweit ich das beobachten konnte) vom Riemenantrieb – der Motor ist unter dem Sitz und die Kraft muss auf's Hinterrad. Die Unus haben hingegen einen Nabenmotor direkt im Rad eingebaut und produzieren außer dem Reifen-Fahrbahn-Geräusch [5] keinen Ton. Leider hat sich Unu entschieden, die Felge fest auf dem Motor zu verschweißen. In der Werkstatt wollten sie daher für die defekte Felge (eBay-Preis gebraucht 'n Zehner) ungefähr den Neupreis des Motors haben. Nach einigem Grübeln kam dann die Werkstatt darauf, die Felge geradezuhämmern und einen Schlauch einzuziehen. Muss man wissen. Seitdem hatte ich keine überraschenden Reichweitenprobleme mehr.

Unüberraschend kommen die nur im Winter. Kalte Akkus sind zickig – so ab 0 Grad. Nehmt die rein. Eiskalte Akkus machen, dass der Motor kaum noch anzieht und die Reichweite einbricht – wenn man überhaupt noch Lust hat, die auszufahren. Ansonsten ist das Moped auch im Winterbetrieb tauglich. So richtig meterhohen Schnee zum Testen hatten wir leider nicht. Obwohl ich diesen Winter nur schwer testen konnte. Das lag daran, dass man mit dem Unu super einkaufen fahren kann.

Im Fach unter dem Sitz passen zwei Akkus nebeneinander rein. Wenn man eins rausnimmt, passt ein kompletter Rewe-Einkaufskorb [6] rein. Und dann ist zwischen den Beinen immer noch Platz. Bei einem späten Einkauf – meine Kaufhalle hat 24/6 auf – habe ich in einer Novembernacht das volle Einkaufsprogramm mitgemacht und mir noch eine TKP [7] in der linken Hand balanciert. Wie das dann halt so ist, habe ich elegant mit dem Knie den Pizzakarton unglücklich gegen das Lenkrad geschoben, das mich prompt gegen einen fies platzierten Poller lenkte. [8] Die Geschichte des Pärchens, das mir beim Zusammensammeln von Verkleidungsteilen und Einkäufen half, im Tausch gegen die Benutzung meines Mobiltelefons, würde noch einen ganzen Blogpost füllen. Ein paar strukturell wichtige Teile wie Blinker und Fußstellflächen waren ab, daher musste ich zur Werkstatt und wurde dann von den Freuden deutsch-chinesischer Handelsfreundschaft überrascht:

Unu wechselte Mitte 2017 den Zulieferer für die Ersatzteile, der wiederum eine ganz eigene Idee von Vorratshaltung hatte. Als bei dem die Bestellungen für die Karosserieteile eingingen, fingen die erst an, die Produktion dafür binnen Monatsfrist zu planen. Kurzum: nach einem Vierteljahr hatte ich meinen Roller wieder. Zum Glück war ich ein gut Stück dieser Zeit eh nicht im Lande. Bisschen peinlich ist es trotzdem, wenn sie jetzt auch – nach eigenen Beteuerungen – die Lieferkette wieder im Griff haben.

Eins noch: Das erste, zu dem mich die mir zugeteilte Bosch-Vertragswerkstatt zu meinem Roller fragte, war der Zustand der Spiegel. Und tatsächlich, so ziemlich alles an den Spiegeln wirkt wacklig: Allein weil das Moped so leicht ist, zittern die Spiegel schon auf asphaltierten Straßen ganz verwirrend, auf Kopfsteinpflaster braucht man sie gar nicht zu benutzen versuchen. Die Konterschrauben unten an den Spiegel muss man mit echtem Werkzeug nachziehen, sie lösen sich sehr gern von allein. Unu legt aus Verlegenheit schon den passenden 15-er Schlüssel zum Handbuch bei. Die kleinen Blinker/Licht-Konsolen, auf denen sie draufstecken, geben auch irgendwann nach, drehen sich dann so leicht nach vorne und hinten und wurden bei mir schon drei mal gewechselt. Aber dafür sind die Spiegel schick!

Kurzum, wie das so ist als early adopter einer hippen Technologie: Man macht alle Kinderkrankheiten einmal mit. Zwischendurch war die Frustration durchaus da, mich auch nach anderen Anbietern umzuschauen. [9] Meine Probleme sind aber fürs erste gelöst, die Lösungen für andere Betroffene runterzuschreiben, war auch Motivation für diesen Text. Ich weiß jetzt nach zwei Jahren ziemlich genau, woran ich bin, meine Akkus tun immer noch und fühlen sich nach zwei weiteren Jahren Stadtbetrieb an. Und auf ein neues Akku- oder Ladesystem umzusteigen, ist mit impliziten Kosten verbunden, zudem würde ich bei anderen Herstellern eben auch nochmal alle Kinderkrankheiten mitnehmen und die wären wiederum neu und überraschend. Daher bleibe ich erstmal bei meinem Model.

[1] https://erdgeist.org/posts/2017/emobil.html
[2] Warum ich den letzten Winter nicht täglich fuhr, erfahrt ihr weiter unten!
[3] https://unumotors.com/de/product/specs
[4] https://twitter.com/erdgeist/status/871031823396220929
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Reifen-Fahrbahn-Ger%C3%A4usch
[6] Also dessen Inhalt. Nicht der Korb.
[7] Tiefkühlpizza.
[8] Zu den Kosten und Effekten der Disziplinierung von Autofahrern hier entlang.
[9] Unter anderem will Vespa jetzt mit einem E-Roller rauskommen.