1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
|
title: Wahlausschuß in Cottbus ignoriert die Tatsachen
date: 2006-11-20 00:00:00
updated: 2009-03-11 11:52:42
author: 46halbe
tags: update
Der Wahlprüfungsausschuß von Cottbus hat in seiner heutigen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung einstimmig empfohlen, den Einspruch gegen die Oberbürgermeisterwahl vom 22. Oktober 2006 abzulehnen. Ein Cottbusser Wähler hatte gegen die Wahl Einspruch erhoben, weil die eingesetzten Wahlcomputer der Firma Nedap manipulierbar und nicht vertrauenswürdig sind.
<!-- TEASER_END -->
Der Wahlprüfungsausschuß hat in seiner heutigen Sitzung der
Stadtverordnetenversammlung von Cottbus einstimmig empfohlen, den
Einspruch
\[[1](http://www.langensoft.de/OBWahl-CB/Wahleinspruch1.html)\] gegen
die Oberbürgermeisterwahl vom 22. Oktober 2006 abzulehnen. Ein
Cottbusser Wähler hatte gegen die Wahl Einspruch erhoben, weil die
eingesetzten Wahlcomputer der Firma Nedap manipulierbar und nicht
vertrauenswürdig sind. Die Forschungsergebnisse des Chaos Computer Clubs
und der Initiative "Wir vertrauen Wahlcomputern nicht"
(wijvertrouwenstemcomputersniet.nl) belegen diese Manipulierbarkeit der
Computer.
Im Mittelpunkt des Einspruches stand der berechtigte Einwand des
Wählers, daß das Wahlergebnis nicht mehr nachprüfbar ist. Die
Öffentlichkeit kann die Auszählung der Stimmen in keiner Weise
nachvollziehen. Zudem kann niemand sicher sagen, ob die Wahlcomputer
manipuliert sind oder nicht. Diese grundlegenden Bedenken fanden im
Ausschuß keinerlei Würdigung, es wurde einzig anhand von formalen
Kriterien geurteilt. Eine inhaltliche Diskussion scheiterte an der
Unkenntnis der Ausschußmitglieder über die Manipulationsmöglichkeiten an
den Wahlcomputern. Offenkundig war diese inhaltliche Auseinandersetzung
auch nicht gewünscht.
Die Argumentation der Wahlleiterin, Frau Hiekel, der sich der
Wahlausschuß anschloß, beruhte auf der rein rechtlich gerade noch so
gegebenen Zulassung der Wahlcomputer. Eine Betrachtung der jüngst
veröffentlichten Erkenntnisse fand nicht statt. "Das gehört nicht auf
unsere Ebene, das muß auf Bundes- oder Landesebene behandelt werden",
war die einhellige Meinung der Ausschußmitglieder.
Jedwede technische Betrachtung der Einspruchsgrundlagen entfiel ebenso
wie eine Berücksichtigung der jüngsten Äußerungen von PTB-Prüfungsleiter
Dieter Richter. Richter hatte in Interviews
\[[2](/de/updates/2006/ptb-bestaetigt-nichteignung)\] zugegeben, daß die
Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) angesichts der neuen
Erkenntnisse keine Empfehlung für eine Verwendungsgenehmigung mehr an
das Innenministerium erteilen würde. "Wir können doch nicht auf
Interviews reagieren", lautete die Aussage der Ausschußmitglieder. Die
Realität in Cottbus ist offenbar schon traurig genug, sodaß man sich
nicht noch mit den Sicherheitsproblemen der Wahlcomputer
auseinandersetzen wollte.
Einzelne Ausschußmitglieder äußerten, daß sie eine Manipulation aufgrund
des "erheblichen Zeitaufwandes" für nicht möglich hielten und
offenbarten damit massive Unkenntnis der technischen Realitäten. Eine
Manipulation durch Austausch der Software oder durch ein trojanisches
Stimmspeicher-Modul ist in wenigen Sekunden möglich. Das Angebot, die
technischen Details von den anwesenden CCC-Mitgliedern vortragen zu
lassen, wurde von der Ausschußvorsitzenden rundweg abgelehnt.
Weiterhin wurde in dem Einspruch der mehrfache Verstoß gegen die
behauptete Aufbewahrung in "geschützten Umgebungen" und die nicht
erfolgte Prüfung der Wahlcomputer in den Stimmlokalen bemängelt.
Die Wahlleiterin behauptete hierzu schlicht, daß die beobachteten
Verstöße gegen die Aufbewahrungs- und Überprüfungsregeln nicht
stattgefunden hätten. Dies habe ihr der Wahlvorstand bestätigt und
"minutiös dokumentiert unterschrieben". Die Beobachtungen der
CCC-Wahlbeobachtergruppe
\[[3](/de/updates/2006/bericht-ob-wahl-cottbus)\] wurden nicht zur
Kenntnis genommen, aber auch die sich mit diesen Beobachtungen deckenden
persönlichen Erlebnisse des Einspruchstellers wurden nicht ernsthaft in
Betracht gezogen. Daß die Wahlvorstände in dem betreffenden Wahllokal
4105 natürlich kein Interesse daran haben, ihre eigenen Verfehlungen
zuzugeben, fand dabei keine Berücksichtigung. Nach wenigen Minuten wurde
die bereits vorformulierte Empfehlung an die Stadtverordnetenversammlung
zur Abstimmung verlesen: keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen, keine
Zweifel – die Wahlcomputer sind sicher.
In Gesprächen mit einzelnen Stadtverordneten nach der Sitzung war
immerhin die Bereitschaft zu erkennen, die anstehende Beschaffung der
Nedap-Wahlcomputer nochmals zu überdenken. Der CCC ist gerne bereit, im
Detail Auskunft zu den Risiken und Problemen zu geben.
- \[1\] ["Einspruch gegen die Gültigkeit der Oberbürgermeisterwahl in
Cottbus" von Thomas
Langen](http://www.langensoft.de/OBWahl-CB/Wahleinspruch1.html)
- \[2\] [CCC: "PTB bestätigt Nichteignung - Wahlcomputer grundsätzlich
unsicher"](/de/updates/2006/ptb-bestaetigt-nichteignung)
- \[3\] [CCC: "Bericht der CCC-Wahlbeobachtergruppe von der
Oberbürgermeisterwahl in
Cottbus"](/de/updates/2006/bericht-ob-wahl-cottbus)
|