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1title: Antwort auf den offenen Brief der Tatort-Drehbuchschreiber
2date: 2012-03-29 17:30:00
3updated: 2012-03-29 17:55:12
4author: zas
5tags: verwertungsindustrie, netzgemeinde, software, schutzfristen
6
7Im Rahmen der Debatte zu einem moderneren Verwertungsrecht haben sich 51 Drehbuchautoren, die regelmäßig für den Tatort schreiben, zu Wort gemeldet. Zu diesem Brief möchten 51 Hacker des Chaos Computer Clubs (CCC) hier ein paar Anmerkungen loswerden.
8
9<!-- TEASER_END -->
10
11## Liebe Tatort-Drehbuchschreiber,
12
13mit Freude nehmen wir – ganz kess als Vertreter der von Euch
14angeprangerten "Netzgemeinde" – Euer Interesse \[1\] an unseren Gedanken
15zu einer Versachlichung der Diskussion über Urheber- und
16Urheberverwertungsrechte im digitalen Zeitalter wahr. Bevor wir aber
17unnötig gleich zu Beginn Schubladen öffnen: Auch wir sind Urheber, sogar
18Berufsurheber, um genau zu sein. Wir sind Programmierer, Hacker,
19Musiker, Autoren von Büchern und Artikeln, bringen gar eigene Zeitungen,
20Blogs und Podcasts heraus. Wir sprechen also nicht nur mit Urhebern, wir
21sind selber welche.
22
23Es wird daher keinen "historischen Kompromiß" geben, denn es stehen sich
24nicht zwei Seiten gegenüber, jedenfalls nicht Urheber und Rezipienten,
25sondern allenfalls prädigitale Ignoranten mit Rechteverwertungsfetisch
26auf der einen Seite und Ihr und wir auf der anderen, die wir deren
27Verträge aufgezwungen bekommen.
28
29Das Tragische (im griechischen Sinne) ist doch, daß wir beide Opfer des
30Verwertungssystems sind. Ihr schuftet Euch seit Jahren für die
31Verwertungsindustrie ab und habt so viele Eurer Rechte weggegeben, daß
32weder Ihr noch Eure Nachfahren von der verlängerten
33Urheberrechtsschutzfrist etwas haben. Das ist bloß ein
34Verhandlungsmittel, mit dem Ihr zu reduzieren hofft, wie doll Euch die
35Verwertungsindustrie abzockt. Wir kämpfen eigentlich auf derselben
36Seite, aber ihr merkt es nicht einmal.
37
38Bei uns ist das ganz ähnlich. Viel Software wird inzwischen gar nicht
39mehr für Profit geschrieben, sondern frei ins Netz gestellt oder als
40Selbstvermarkter-Shareware, weil den Autoren klar ist, daß sie nie einen
41müden Cent sehen werden für ihr Werk. Für Software gibt es keine
42Verwertungsgesellschaften, mangels historischen Präzedenzfalls. Wenn Ihr
43Euch mal umschaut, werdet ihr sehen, daß auch kein einziger von uns
44Software-Autoren eine GEMA für Software fordert. Wir nehmen Euch nichts
45weg, das wir für uns fordern. Wir haben uns nur von der Idee
46verabschiedet, daß dieses Modell in zehn Jahren noch existieren wird.
47
48Software im kommerziellen Bereicht entsteht im Allgemeinen als
49Werksvertrag oder unter Anstellung, und sämtliche Verwertungsrechte
50gehen an die Auftraggeber. Kommt Euch das bekannt vor? Nur daß bei uns
51niemand unsere Rechte zu vertreten versucht. Und wißt ihr, welcher
52kreative Bereich stärker wächst und mehr Umsatz macht, Eurer oder
53unserer? Überraschung: Es stellt sich heraus, daß man auch ohne
54Verwertungsindustrie überleben kann. Anstatt Euch an den Konsumenten
55gütlich zu tun, solltet Ihr Eure Anstrengungen darauf konzentrieren, für
56Eure Werke direkt vom Auftraggeber ordentlich entlohnt zu werden. Was
57ihr braucht ist eine den Namen verdienende, starke Gewerkschaft, kein
58Monster aus Verwertungsgesellschaften, die dann Youtube langjährig
59verklagen, weil sie kostenlos Werbung für Euch machen und Euch damit
60zukünftige Aufträge verschaffen. \[2\]
61
62Um die Anwürfe in Eurem offenen Brief zu sortieren:
63
64- "wir" würden eine apokalyptische Zeit der Kulturlosigkeit a la
65 "Demolition Man" heraufbeschwören, um allen kostenlos Zugang zu
66 aller Kultur zu verschaffen,
67- der Feind seien grundsätzlich alle nur an Geld und nicht an der
68 Kultur interessierte Verwerter,
69- "wir" würden nicht anerkennen, daß sich Kulturdienstleister durch
70 das Schaffen von Werken Eigentum akkumulieren dürften.
71
72Die Pauschalkritik an Verwertern, die uns nun mit so bunt
73zusammengeklaubten Kommentaren von so unterschiedlichen Quellen wie drei
74Parteien und einer von Euch offensichtlich nicht ganz verstandenen
75"Netzgemeinde" um die Ohren gehauen wird, ist so nie geäußert worden.
76Dieser plumpe Diskussionstil ist uns zuletzt bei den eben alle Verwerter
77in einen Topf werfenden Zwölfjährigen begegnet, die gegen Staat, GEMA
78und zu wenig Taschengeld rebellierend ihre Lieblingsmusik für lau aus
79dem Netz ziehen und denen dafür jede Rechtfertigung recht ist. Daß hier
80noch kein Equilibrium im Spannungsfeld zwischen neuen Technologien und
81Werkschaffungen im Vor-Netz-Zeitalter erreicht ist, ist offensichtlich.
82Dies ist jedoch kein Grund, uns als Netizens mit in denselben Topf zu
83werfen.
84
85Natürlich wird niemand behaupten, in den Filesharingdiensten würde
86überwiegend Schostakowitsch getauscht. Dies ist keine Lebenslüge,
87sondern hat weniger mit dem ebenfalls reformbedürftigen Verwertungsrecht
88zu tun als mit dem Abmahnunwesen, das zur Zeit viele gerade jüngere,
89nicht adäquat versorgte potentielle Konsumenten eiskalt erwischt.
90
91Die Verkürzung eines Schutzrechts ist dabei auch nur eins der Werkzeuge,
92um gerade Euch (oder besser gesagt Euch und uns) Fallstricke beim
93Ausüben unserer Berufe auszuräumen. Gerade Ihr solltet doch – bei der
94recht dünnen Menge potentieller Krimiplots \[3\]– verstehen, daß
95Plagiatsanwürfe beim Verwenden von Versatzstücken zu einem horrenden
96Minenfeld werden. Wir (jetzt in einer Rolle) als Softwareurheber bewegen
97uns seit zu langer Zeit schon in genau jenem
98Software-Trivialpatente-Minenfeld, wir verstehen ganz gut, wohin der Zug
99geht.
100
101Wir sollen also die Finger von den Schutzfristen lassen. Oh bitte, es
102bluten einem die Ohren bei diesem ewiggestrigen Singsang, den wir uns
103seit Jahren anhören müssen, während alle paar Jahre die Fristen
104verlängert werden. Wir sind jetzt bald bei einer Länge von einem
105Jahrhundert angekommen, und da bringt Ihr echt das Argument, man dürfe
106die Schutzfristen nicht anrühren? Wir glauben, es hackt. Das ist das
107Digitalzeitalter, Freunde, wir wissen nicht mal, wie wir digitale Daten
108ein ganzes Jahrhundert lang bewahren sollen. Die Archive und
109Bibliotheken haben noch nicht mal annähernd ein Konzept dafür. Und diese
110DRM-Grütze und der Mangel an offenen Formaten, das sind die Probleme,
111und beides hat einen Zusammenhang zu Schutzfristen. Nicht nur deswegen
112müssen sie radikal verkürzt werden, sondern auch, weil selbst Ihr auf
113den Schultern von Riesen steht, denen Ihr gefälligst Tribut zu zahlen
114habt.
115
116Sir Arthur Conan Doyle schrieb dazu: »Wenn jeder Autor, der ein Honorar
117für eine Geschichte erhält, die ihre Entstehung Poe verdankt, den
118Zehnten für ein Monument des Meisters abgeben müßte, dann ergäbe das
119eine Pyramide so hoch wie die von Cheops.«
120
121Das von Euch als gottgegeben hingestellte sogenannte "geistige Eigentum"
122ist bei näherem Hinsehen eine Chimäre jüngeren Datums, gerne als
123unsachlicher Kampfbegriff angeführt, um gewisse grundsätzliche
124Diskussionen zu vermeiden. In den letzten Jahren sind dazu viele – auch
125sehr ausgewogene – Kommentare verfaßt worden. \[4\]
126
127Daß einige Verwertungsgesellschaften mit dem simplen Fakt überfordert
128sind, das Kopieren von Werken nicht verhindern zu können, ändert nichts
129an der Tatsache, daß früher wie jetzt eine grundsätzliche Bereitschaft
130besteht, Kulturdienstleister angemessen zu entlohnen. Wo es Wege gibt,
131streßfrei und ohne Gängelungen Werke zu fairen Konditionen zu beziehen,
132werden diese ausgiebig genutzt, seien es App-Stores für Mobiltelefone
133oder "Music Stores" mit einfachen Bezahlmodellen. E-Book-Geschäfte sind
134ebenso gerade im Kommen, hakeln allerdings wegen der unausgereiften
135DRM-Technologie ein wenig. In der Netzgemeinde werden über moderne
136Konzepte wie "Flattr" sogar einzelne Wortbeiträge in Blogs oder für
137Podcasts entlohnt. (Beispiel: \[5\])
138
139Daß diese Transition nicht für jeden einfach ist, können wir
140nachvollziehen. Und das Verbandsklagerecht fordern wir übrigens auch
141schon seit Jahren. Und wer hat uns verraten? Richtig.
142
143Gerade Ihr als Tatort-Autoren, deren Brötchen zum großen Teil über die
144Rundfunkgebühren bezahlt werden, solltet wissen, wie sich eine
145Kulturflatrate anfühlt. Hier hungern Urheber nicht. Aber gerade diese
146Verwertungsgesellschaft, die Eure Tatort-Drehbücher entlohnt, ist das
147beste Beispiel, wie sich ein verselbständigter Wasserkopf mehr und mehr
148der eigentlich Euch zustehenden Anteile am ausgestrahlten Werk
149einverleibt. Hand hoch, wieviele von Euch sind festangestellt? Wieviele
150wurden in den letzten Jahren durch Vertragsveränderungen bei den
151Landesmedienanstalten auch noch der Zweitverwertungsrechte im Netz
152beraubt? Na, und wie fühlt sich der Blick in Eure Buy-Out-Verträge an,
153wenn Ihr ehrlich seid? Stockholmsyndrom?
154
155Da war noch was: Wir sollten mal mit unseren Kulturpolitikern reden,
156meint Ihr. Was für eine tolle Idee, als laberten wir denen nicht schon
157Blumenkohl ans Ohr seit einem Jahrzehnt. Hier müssen wir aber doch mal
158auf ein paar wohlfeile Unterschiede zwischen den von Euch
159zusammengemanschten Parteien Wert legen: Mit grünen Kulturpolitikern zu
160reden, ist wie mit einer Wand. Sie hören selten zu, haben in den letzten
161Jahren keine einzige zeitgemäße Idee zum Verwertungsrecht umsetzen
162können und eine konservative Grundhaltung, die selbst Ansgar Heveling
163eine Freude wär. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Die Piraten haben
164keine Kulturpolitikerinnen. Die linken Kulturpolitiker sind ganz
165entgegen anderslautender Gerüchte die mit Abstand progressivsten, die
166neue Ideen auch gern mal durchdenken. Natürlich hätten sie eh keine
167Macht, etwas umzusetzen, da diskutiert es sich eben einfacher.
168
169Na, jetzt eine Idee, wieso wir das mal einfach auf eigene Faust machen?
170Genau.
171
172\[1\] [Offener Brief von 51
173Tatort-Autoren](http://www.drehbuchautoren.de/nachrichten/2012/03/offener-brief-von-51-tatort-autoren-0)
174
175\[2\] Kulturwertmark:
176[Kulturwertmark](http://www.ccc.de/de/updates/2011/kulturwertmark)
177
178\[3\] <http://www.zeit.de/2012/13/Krimi-Tatort/komplettansicht>
179
180\[4\] Ansgar Ohly, Diethelm Klippel (Hg.): Geistiges Eigentum und
181Gemeinfreiheit, Tübingen: Mohr Siebeck 2007.
182
183\[5\] [Chaosradio Express](http://cre.fm/)