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.. title: Grußkarte
.. date: 1996/07/01
.. tags: poetry
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Fühl dich nicht gegrüßt. Fühl dich nicht geliebt. Fühl dich nicht adressiert. Fühl dich einfach ignoriert! Glaub nicht einmal, daß du wirklich gemeint warst, vielleicht hat die Post sich ja nur vertan oder ich, als ich im Zustand geistiger Umnachtung deine Adresse mit der des wirklichen Empfängers verwechselt habe. Nagut, fühle dich trotzdem erst einmal angesprochen, dagegen kann ich nämlich überhaupt nichts tun. Diese Karte erfüllt ja auch einfach nur ihren Selbstzweck, nämlich den, verschickt zu werden und meiner Eloquenz und meinem Geltungsdrang Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen. Also bild dir ja nichts darauf ein, oder sei auf keinen Fall stolz darauf, dieses Versandstück zu erhalten, welches bloß durch Zufall meinen Weg im Kaiser's striff und welches ich des angenehmen Anblicks wegen für 2,75 DM erstand und welches einen nicht zu beachtenen Gruß enthielt, der jetzt nichtig ist. Wenn du willst, kannst du diesen Brief serienbriefmäßig weiterverschicken, da er absolut nichts Persönliches oder Gutartiges enthält... daraus schlußfolgernd könntest du auch davon ausgehen, daß dieser Text auch nicht von mir stammt und ich gar nicht die Person war, die diese Karte im Kaiser's erstanden hat, also wäre diese Karte noch unpersönlicher, als ohnehin schon und ich hätte nur noch einmal 1,10 DM für die Briefmarke und 5 Pfennig für einen neuen Umschlag, sowie 0,3 Pfennig für die Tinte, mit der ich die Adresse geschrieben habe, berappt. Sämtliches kreatives Potential, daß du bis eben noch hättest bei mir annehmen können, würde also nicht bei mir liegen, sondern bei wem immer du diese Karte zuschreiben würdest. Und vielleicht bin ja ich, also der, dem du die Karte jetzt schickst, Originator, ich würde mich nicht freuen, gerade von dir diese Karte zurückzubekommen, ich würde nämlich wissen, daß du so blöde warst, dich kreativ zu fühlen, nur, weil du diese Karte weiter geschickt hast. Um dein Ego nun nicht vollends zu strapazieren, halte ich dir nochmal vor Augen, daß ich (oder der neue Absender) mindestens 1,153 DM oder maximal 3,905 DM investiert habe/hat, was wohl ein gewisses Interesse an deiner Unterhaltung oder im schlimmsten Fall an meiner Profilierung voraussetzt, nenne mir nur einen Grund, warum Ersteres zutreffen sollte! Die aufgeführten Investionsrahmenparameter sind aber auch nur Richtgrößen, da ich mindestens die Briefmarke und, wenn du erster Empfänger dieser Karte warst, auch noch die bunte Karte als Werbungskosten von der Steuer abgesetzt habe. Wieviel das ist, hängt letztenendes von meinem Einkomen ab, welches auch noch, um dich jetzt völlig einem Wechselbad der Gefühle preiszugeben, Einfluß darauf hat, welche ideelle Kosten zum alleinigen Preis der materiellen Komponenten dazukommen. Bei einem Stundenlohn von sagen wir 10 Mark kämen wir bei einer Minute Karte aussuchen, zwei Minuten Adresse auf den Umschlag schreiben, einer Minute Karte hineinstecken und 10 Sekunden Brief in den Briefkasten schieben (bei der Post mußte ich ja eh vorbei), auf einen Gegenwert von 52,7 Pfennig. Sollte ich den text nun wirklich selber geschrieben haben (6 Minuten), erhielten wir bei einem Stundenlohn von angenommen 20 Mark auf 1.38 Mark. Macht bisher im besten Fall 5.294 DM, 1.681 DM für den schlechtesten Fall ist aber wohl doch wahrscheinlicher, oder? Denn daß auf der Vorderseite nun ein Symbol positiver Gefühle bis hin zur Liebe prangt, soll kein Anzeichen ähnlicher Gefühle meinerseits dir gegenüber sein, die Existenz dieses Bildes rüht aus einem purem Umkehrschluß, der daraus besteht, daß es keine Karte ohne Bild gab und ich für ein häßliches Bild keine 2,75 DM ausgegeben hätte. Falls du nun aus der Tatsache, daß der Briefumschlag scheinbar liebevoll mit deiner Adresse versehen worden ist, ableitest, ich hätte positive Gefühle beim Ausfüllen der Adresse gehabt, sei versichert, ich schreibe immer so und wenn nicht, habe ich wohl gerade an jemanden anderes gedacht oder gerade Schönschreiben geübt oder mal meine Schablone dabeigehabt. Auch die Annahme, daß ich die Briefmarke angeleckt hätte und die daraus folgende Hoffnung, es können eine erotische Anspielung dahinter stecken, ist absurd. Ich habe auch keinen nassen Schwamm benutzt, was bei den Wasserpreisen heutzutage und dann gerade für einen Brief an dich ein Fopaz wäre. Nimm nun nicht auch noch an, ich würde mich befleißigen, dir darzulegen, wie ich die Briefmarke befestigt habe, lies gefälligst schnell weiter, um die Karte zu schonen, damit du sie eventuell noch weiterverschicken kannst! Solltest du auch noch die Idee haben, diese Karte kommerziell an Schreibwarenläden weiterzugeben, denke daran, daß es da irgendwo einen Urheber des Textes gab und er dich fürchterlich bestrafen wird, auch wenn es ihn ehren könnte, daß du den Text so gut fandest, ihn kommerziell vermarkten zu wollen, wenn es nicht gerade DU gewesen wärst. Aber wenn du die Karte schon in der x. Generation bekommen hättest, wäre es ein Gutes Zeichen dafür, aus der Karte mehr zu machen und vielleicht Geld daraus zu schinden. Was es dich kosten würde, weißt du ja jetzt. Ansonsten bliebe nur noch 1:   Hab dich lieb!