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1title: Noch mehr Verfassungsbeschwerden: Hessentrojaner landet in Karlsruhe
2date: 2019-07-02 10:30:46
3updated: 2019-07-02 10:30:46
4author: 46halbe
5tags: update, pressemitteilung
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7Heute sind zwei weitere Verfassungsbeschwerden gegen Staatstrojaner in Karlsruhe eingereicht worden. Die Verfassungswidrigkeit des sogenannten Hessentrojaners, aber auch die unumgänglichen technischen Gefahren hatten der Chaos Computer Club (CCC) sowie zahlreiche weitere Sachverständige bereits während der Anhörung im Landtag betont. Das staatliche Hacken gefährdet die innere Sicherheit. Die Experimente mit staatlicher Schadsoftware müssen endlich beendet werden.
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10
11Zu den bereits in Karlsruhe eingereichten Verfassungsbeschwerden aus
12anderen Bundesländern sowie gegen die Änderung der Strafprozessordnung
13im Bund gesellen sich nun noch zwei Beschwerden aus Hessen, um die
14unverhältnismäßigen Grundrechtseingriffe und Sicherheitsgefährdungen
15durch Staatstrojaner einzudämmen. Die Verfassungsbeschwerden richten
16sich gegen die im vergangenen Jahr beschlossenen Gesetzesnovellierungen
17beim Verfassungsschutz- und beim Polizeigesetz.\
18\
19Darin wurden nicht nur weitreichende Änderungen im Hessischen
20Verfassungsschutzgesetz (HVSG) vorgenommen, sondern auch mit einem
21kurzfristig – zwei Wochen vor der Beschlussfassung im Hessischen Landtag
22– eingereichten 45-seitigen Änderungsantrag das hessische Polizeigesetz
23(Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, HSOG)
24reformiert. Damit machte die Koalition aus CDU und Grünen eine
25parlamentarische Auseinandersetzung mit den weitreichenden Änderungen im
26Polizeigesetz und auch eine öffentliche Debatte unmöglich.\
27\
28Heute wenden sich sowohl die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in
29Kooperation mit der Humanistischen Union (HU), den Datenschützern Rhein
30Main (dDRM) und dem Forum InformatikerInnen für Frieden und
31gesellschaftliche Verantwortung (FifF) als auch mit einer zweiten
32Beschwerdeschrift die Piratenpartei Hessen an das
33Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.\
34\
35Die GFF kritisiert in der Beschwerdeschrift die Legitimation zum Einsatz
36des Staatstrojaners sowie die neu geschaffene rechtliche Grundlage für
37die Nutzung der Software „Hessendata“ des umstrittenen US-Unternehmens
38Palantir zur Auswertung von Daten aus zahlreichen Polizeidatenbanken und
39sozialen Netzwerken. Die GFF sieht in der Einführung des Hessentrojaners
40und der Big-Data-Analysesoftware Hessendata einen Angriff auf die
41Freiheitsrechte. Zudem kritisiert die GFF die mit der Reform des
42Verfassungsschutzgesetzes eingeführten Änderungen zum weitreichenden
43Einsatz von verdeckten Ermittlern, der Ortung von Mobilfunkgeräten und
44der Überwachung von Reiserouten.
45
46Die Piratenpartei fokussiert sich in ihrer Beschwerde auf die Einführung
47der „Quellen-Telekommunikationsüberwachung“ und „Online-Durchsuchung“
48mittels Staatstrojaner als Einsatzmittel für die Polizei. Auch sie
49bemängelt die Verfassungswidrigkeit der beschlossenen Regelungen, denn
50sie widersprächen dem Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und
51Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme (IT-Grundrecht, Urteil
52vom 27. Februar 2008, 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07).\
53\
54Bereits in der [Stellungnahme an den Hessischen Landtag
55(pdf)](/system/uploads/252/original/CCC-staatstrojaner-hessen.pdf) wies
56der CCC auf die allgemeine Gefährdung der IT-Sicherheit durch den
57Einsatz von Staatstrojanern hin. An dieser Einschätzung hat sich nichts
58geändert: „Spionagesoftware benötigt eine Schwachstelle im angegriffenen
59Computersystem, die vom Besitzer des Systems nicht geschlossen wurde und
60daher heimlich genutzt werden kann. \[…\] Staatliche Schadsoftware
61unterminiert die IT-Sicherheit damit strukturell, da ihre Entwicklung
62die Anreize dafür setzt, Sicherheitslücken anzubieten, zu verkaufen und
63nicht schließen zu lassen. \[…\] Eine verantwortungsvolle
64IT-Sicherheitspolitik zielt auf die Schließung von Lücken ab, statt sich
65noch an der fragwürdigen Praxis des Handels mit Schwachstellen zu
66beteiligen.“\
67\
68Der Staat verletzt seine Schutzpflichten gegenüber den IT-Systemen
69seiner Bürger, wenn er Sicherheitslücken ankauft und absichtlich
70offenhält. Damit handelt er entgegen dem 2008 vom
71Bundesverfassungsgericht definierten Grundrecht auf Gewährleistung der
72Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Wenn die
73hessische Landesregierung diesen Handel mit Schwachstellen legitimiert,
74handelt sie nicht nur verfassungswidrig, sondern gegen ihre eigenen
75Sicherheitsinteressen.\
76\
77Zudem besteht beim Vorhalten eines Staatstrojaners ein enormes
78Missbrauchspotenzial. Öffentlich bekannt wurde der Missbrauch und die
79Zweckentfremdung von staatlicher Überwachungssoftware unter anderem bei
80den Geheimdiensten NSA und BND ([Beispiel
811](https://www.reuters.com/article/us-usa-surveil-lance-watchdog/nsa-staff-used-spy-tools-on-spouses-ex-lovers-watchdog-idUSBRE98Q14G20130927),
82[Beispiel
832](https://www.berliner-zeitung.de/bka-reform---das-bundeskriminalamt-soll-per-gesetz-mehr-befugnisse-bei-der-terrorabwehr-bekommen--neue-fahndungsmethoden-sollen-die-jagd-auf-staatsfeinde-erleichtern--beamter-unter-verdacht-15911296))
84sowie im [als „Patras-Affäre“ bekanntgewordenen Fall der Frankfurter
85Bundespolizei](http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,807820,00.html).\
86\
87„Staatstrojaner bieten aufgrund technisch unausweichlicher Gegebenheiten
88zudem immer auch die Möglichkeit, seitens der Stafverfolgungsbehörde
89manipulierte Daten oder gefälschte Beweise in IT-Systemen
90einzuschleusen“, gibt Magnus Frühling vom Chaos Computer Club Frankfurt
91zu bedenken. Damit vermindert sich die Beweiskraft der erlangten Daten
92erheblich, egal ob die Manipulation absichtlich oder wegen fehlerhafter
93Software passierte.\
94\
95„Millionen internetfähige Geräte sind in ihrer Sicherheit bedroht, wenn
96der Staat Sicherheitslücken in weit verbreiteten Systemen ausnutzt und
97sogar Informationen über diese Lücken ankauft. Es ist überhaupt nicht
98miteinander vereinbar, dass der Staat einerseits Sicherheitslücken
99offenhält, um Staatstrojaner einzusetzen, andererseits aber verpflichtet
100wäre, Schutzpflichten für IT-Systeme zu wahren“, kommentiert Marco Holz
101vom CCC Darmstadt.\
102\
103Auf der Webseite [hessentrojaner.de](https://www.hessentrojaner.de/)
104haben wir weitere Informationen zu Funktionsweise und Problematik von
105Staatstrojanern zusammengetragen. Die Tatsache, dass innerhalb weniger
106Jahre in immer mehr Bundes- und Landesgesetzen die Befugnis zum
107staatlichen Hacken eingeführt wurde, gefährdet die innere Sicherheit
108weit mehr als es ihr nutzt. Der CCC setzt sich weiterhin dafür ein, den
109Irrweg des staatlichen Hackens zu verlassen.\
110\
111**Links**:\
112Pressemitteilung der GFF: [Polizeigesetz
113Hessen](https://freiheitsrechte.org/polizeigesetz-hessen/)\
114[Pressemitteilung der
115Piratenpartei](https://www.piratenpartei-hessen.de/blog/2019/06/27/piraten-reichen-verfassungsbeschwerde-gegen-hessentrojaner-ein/)\
116[Vorgang im hessischen
117Landtagsinformationssystem](http://starweb.hessen.de/starweb/LIS/servlet.starweb?path=LIS/PdPi_FLMore19.web&search=WP%3d19+and+R%3d15747)\
118[Stellungnahme des CCC an den Hessischen
119Landtag](/system/uploads/252/original/CCC-staatstrojaner-hessen.pdf)
120(pdf)\
121\
122Weitere Beiträge, gemeinsame Erklärungen und Pressemitteilungen des CCC
123zum Thema:\
1246. November 2017: [Geplanter Staatstrojaner in Hessen gefährdet
125IT-Sicherheit weltweit](/de/updates/2017/hessentrojaner)\
12620. November 2017: [Hessischer Staatstrojaner vor dem Aus? - Grüne
127Landtagsfraktion unter
128Zugzwang](https://www.chaos-darmstadt.de/2017/Hessentrojaner-Update.html)\
12922. Dezember 2017: Gemeinsame Erklärung: [Geplante Verschärfungen des
130hessischen Verfassungsschutzgesetzes schädigen Demokratie und
131Grundrechte](https://www.chaos-darmstadt.de/2017/Gemeinsame-Erklaerung-zum-Verfassungschutzgesetz.html)\
1326. Februar 2018: CCC-Stellungnahme: [Kein Hessentrojaner für den
133Geheimdienst](/de/updates/2018/stellungnahme-hessentrojaner)\
13425. Mai 2018: [Kein Hessentrojaner für den Geheimdienst, aber für die
135Polizei](/de/updates/2018/hessentrojaner-polizei)\
1366. Juli 2018: [Heftige Kritik am Vorgehen von Schwarz-Grün zur Reform
137des Verfassungsschutzgesetzes und des Polizeigesetzes in
138Hessen](https://www.chaos-darmstadt.de/2018/Kritik-Verfassungsschutzgesetz-und-HSOG.html)\
13918. November 2018: [Offener Brief von 36 Organisationen und
140Privatpersonen an die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen in
141Hessen](https://www.chaos-darmstadt.de/2018/offener-brief-freiheitsrechte.html)